Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Ein Mangel an Möglichkeiten hat manchmal etwas Befreiendes. Arno Geiger In den letzten Monaten höre ich von vielen Mitarbeiter/Innen in Teams, die ich berate und auch von Leitungskräften: „Wir haben keine Zeit!“ Keine Zeit für die Klienten, um auch einmal etwas außerhalb des „normalen“ Tagesablaufs für und mit ihnen zu tun; keine Zeit weil wieder neue Dokumentationssysteme anstehen und als Zeitfresser erlebt werden. Viele von Ihnen und uns kennen das: wir fragen uns in einem vollen Alltag, wo ist unsere Zeit hingeraten?

In dem Buch „Zeitgewinn und Selbstverlust“ verweist Hartmut Rosa auf den Zeitverlust als Epochenphänomen, es korreliert aus seiner Sicht eng mit dem Zwang zur Selbst-und Arbeitsoptimierung. Diesen Druck kennen Menschen in allen Organisationsformen, auch in sozialen Projekten; gerade auch deren beziehungsgestützte Inhalte sind von Effizienzdruck beeinflusst. Rosa schreibt: „Moderne Gesellschaften stehen…unter andauerndem Innovationsdruck, sie sind durch eine progressive Steigerung der sozialen und technischen Innovationsraten gekennzeichnet.“ Viele stellen sich die Frage, ob der hochflexible Mensch, den es für die Realisierung dieses permanenten Innovationsdrucks braucht, überhaupt existiert bzw. ob und wie lange er oder sie mit diesem Druck „gesund“ umgehen kann? „Menschen brauchen Anerkennung, für das, was sie sind und was sie beitragen….Es genügt nicht, dass die Bedürfnisse befriedigt werden, die Anerkennung dieser Bedürfnisse ist gleichermaßen wichtig.“(Verena Kast) Das Bedürfnis mehr Zeit zu haben für die Arbeit mit Klienten oder Patienten kann in Erweiterung von Kast`s These auch so formuliert werden: das Bedürfnis selbst sollte ernst genommen und weder kleingeredet noch wegrationalisiert werden.

In der Arbeit mit Kunden und Klienten sind es oft die „kleinen Dinge“, die wichtige Beziehungen stiften. Beziehungen sind aber in ihrem Wert nicht messbar und kaum dokumentierbar. Was hilft gegenüber dem Verschwinden von Zeit? Lisa Freund schreibt dazu kritisch: „Es ist modern geworden, den Wert des Augenblicks zu betonen. Das ist und bleibt oft nichts als eine Absichtserklärung.“ Wir neigen dazu in der Vergangenheit zu leben, bzw. uns die Zukunft auszumalen. Mit Klienten einfach einmal „nur zu sein“ statt ständig etwas mit und für sie zu tun, wäre das Wagnis Gegenwart. Giovanni Maio weist darauf hin, wie wichtig Zuhören, auf Augenhöhe zu gehen und das Wagnis des Unbekannten im – scheinbar – Bekannten zu suchen und auszuhalten, für eine „echte“ Beziehung sind. Gegenwärtig sein, bedeutet manchmal auch, die eigenen und anderen Widersprüche auszuhalten. Gelingende Identität wird zu oft noch als Widerspruchsfreiheit verstanden. Was hilft gegenüber dem Verlust von Zeit? Muße, Nichtstun, sich Pausen gönnen, Sinnesquellen als Genussquellen nicht konsumieren sondern bewusst wahrnehmen, wertschätzen und so vertiefen.

Dem Denken in Innovationsraten liegt manchmal unausgesprochen, manchmal offen propagiert, immer auch ein einteilen in „besser oder schlechter“ zu Grunde. Verena Kast spricht in diesem Zusammenhang von einem „Muster von Dominanz und Unterwerfung“, das die Gesellschaft strukturell durchdringt. „Die Gier nach Bestätigung, die wir oft an den Tag legen“ führt sie auf einen Mangel an tief empfundener Anerkennung grundlegender Bedürfnisse zurück. Sie schlägt eine gesellschaftliche und politische Vision vor: „Man könnte eine Kultur der Anerkennung fördern – und man muss sie auch fordern. Statt einander abzuwerten, ginge es um ein Lebensmuster der gegenseitigen Teilhabe und Wertschätzung. …Es geht nicht darum, dass wir möglichst viel profitieren können von der Gesellschaft, sondern um die Frage, wo wir was beitragen können.“(Kast, 2003, S. 206f) Diese Frage versteht sie als grundlegend, als Identität stiftend. Das heißt vielleicht auch: wir Alle sind aufgefordert, selbstwertschätzend mit unserer Zeit umzugehen. Mit der Zeit, die wir in unser Arbeitsleben, Familienleben, nicht zuletzt auch in uns selbst investieren. Diese Aufgabe können die Einzelnen nicht alleine bewerkstelligen, es braucht strukturelle Veränderungen in Organisationen, in der gesamten Gesellschaft, auch im Umgang mit der Zeit, einer unserer wertvollsten Ressourcen.

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